Sommer
Vor Kurzem bin ich mit meinen Töchtern mit dem Nachtzug weggefahren. Es war ein heißer, in der Stadt auch stickiger Tag gewesen. Als wir zum Bahnhof fuhren, war es noch immer ausgesprochen warm. Nachdem wir eingestiegen waren und unser Abteil für die Nacht gefunden hatten, ging meine ältere Tochter wieder in den Gang, legte die Arme auf das geöffnete Fenster und schaute neugierig raus. Ich lief ihr mit bloßen Füßen nach und stellte mich neben sie. Der Zug stand noch im Bahnhof, um uns herum unterhielten sich die Leute, manche suchten noch ihre Plätze, andere machten sich schon für die Nacht fertig. Es herrschte eine freudig-gespannte Stimmung. Ich fühlte mich plötzlich dreißig Jahre zurückversetzt als ich mit einer Jugendgruppe im Hochsommer mit dem Zug nach Griechenland fuhr. Wir waren damals drei Tage im unklimatisierten Zug unterwegs, die heutigen Liegewagen gab es noch nicht und die Toiletten waren gegen Ende der Fahrt kaum noch benutzbar. Trotzdem ist mir diese Fahrt in bester Erinnerung geblieben. Draußen herrschte flirrende Hitze und wir standen – so wie ich jetzt mit meiner Tochter – oft am offenen Fenster, hängten unsere Arme in den Fahrtenwind und schauten auf die nicht enden wollenden grünen und goldgelben Felder im damaligen Jugoslawien. Auf dieser Reise verband sich mit dem Sommer das Gefühl von Freiheit und heiterer Sorglosigkeit.
Dieses Gefühl ist für mich stark, wenn auch nicht untrennbar, mit Italien bzw. Südeuropa verbunden. Als ich vier Jahre alt war und meine Mutter in ihrem Urlaub für eine Prüfung lernen wollte, sind wir zum ersten Mal nach Italien gefahren. Sie meinte, es sei viel billiger gewesen als in Deutschland Urlaub zu machen, und außerdem gab in Italien schon damals Hotels, die ein Kinderprogramm anboten. Ich kann mich nur an wenig aus diesem ersten Urlaub erinnern, aber das wenige hat mich nachhaltig geprägt. Es gibt Fotos von mir, auf denen ich null Interesse für die Kamera zeige, dafür aber umso mehr fürs Schwimmen im Kinderbecken und vom Ein-Meter-Brett springen. Eine Begeisterung, die ich nie verloren habe. Meine Mutter hatte auch ein Foto mit den fürs Abendessen gedeckten Tischen des (für heutige Verhältnisse sehr einfachen) Hotels gemacht. Lange Jahre konnte ich das Bild nicht ansehen ohne gleich den spezifischen Duft des Öl und Essig in der Nase zu haben, die auf jedem der Tische standen. Noch heute erinnere ich mich genau an die Minestrone, die es oft gab, und den Obstsalat, der unweigerlich als Nachtisch gereicht wurde. Seit diesem ersten Urlaub gehört für mich (wie vermutlich für unzählige Touristen) die mediterrane Küche zum Sommer dazu.
Während meiner Au pair Zeit in Italien verbrachten wir die letzten Wochen meines Aufenthalts in Anzio. Zehn Personen in einer kleinen Vier-Zimmerwohnung – meine Mutter war entsetzt über die Enge als sie auf einen Tag zu Besuch kam. Ich aber habe mich dort sehr wohl gefühlt. Es gab dort sicher nichts, was nicht gebraucht wurde. Aber niemand, mich inklusive, schien irgendetwas ernstlich zu vermissen. Ich verbrachte ohnehin einen großen Teil des Tages mit den Kindern am Strand und lernte so die festen Strandgewohnheiten der dort urlaubenden Italiener kennen. Die meisten von ihnen waren Römer, die Jahr für Jahr den gleichen Schirm mit Liegen mieteten und einander seit Jahren kannten. Ausländische Urlauber verirrten sich eher selten an unseren Strand und fielen zuweilen unangenehm auf. So sonnten sich zum allgemeinen Missfallen einmal zwei Schwedinnen oben ohne – und ich war verschnupft, weil man sie für Deutsche hielt. Schon wegen der Kinder gab es für mich eine feste Routine und ich gewöhnte mich schneller als gedacht daran, einen großen Teil des Tages im Badeanzug am Strand zu verbringen. Heimlich beneidete ich die italienischen Strandschönheiten, die eine ganze Palette von schicken Badeanzügen zu haben schienen, quasi für jede Gelegenheit einen. Ich hatte nur einen von meiner Mutter (der war aber ok). Das unaufgeregte Leben am Strand fand ich sehr schön. Der uralte Ohrwurm Sapore di Sale von Gino Paoli fängt diese spezifische Stimmung sehr gut ein. In den sparsamen Worten und der einfachen Melodie ist irgendwie alles drin: die mediterrane Muße, die Hitze, das glitzernde Meer, die sexuelle Spannung und eine gewisse Melancholie. Anders, weil es in die Atmosphäre des amerikanischen Süden gebettet ist, aber doch auch ähnlich, weil es eben dieses spezifische Sommergefühl so eindringlich zum Ausdruck bringt, ist, ist das wunderbare Summertime.
Ich wünsche uns einen schönen Sommer.
Copyright (c) Sylvia Bolton 2014 All Rights Reserved
Dieses Gefühl ist für mich stark, wenn auch nicht untrennbar, mit Italien bzw. Südeuropa verbunden. Als ich vier Jahre alt war und meine Mutter in ihrem Urlaub für eine Prüfung lernen wollte, sind wir zum ersten Mal nach Italien gefahren. Sie meinte, es sei viel billiger gewesen als in Deutschland Urlaub zu machen, und außerdem gab in Italien schon damals Hotels, die ein Kinderprogramm anboten. Ich kann mich nur an wenig aus diesem ersten Urlaub erinnern, aber das wenige hat mich nachhaltig geprägt. Es gibt Fotos von mir, auf denen ich null Interesse für die Kamera zeige, dafür aber umso mehr fürs Schwimmen im Kinderbecken und vom Ein-Meter-Brett springen. Eine Begeisterung, die ich nie verloren habe. Meine Mutter hatte auch ein Foto mit den fürs Abendessen gedeckten Tischen des (für heutige Verhältnisse sehr einfachen) Hotels gemacht. Lange Jahre konnte ich das Bild nicht ansehen ohne gleich den spezifischen Duft des Öl und Essig in der Nase zu haben, die auf jedem der Tische standen. Noch heute erinnere ich mich genau an die Minestrone, die es oft gab, und den Obstsalat, der unweigerlich als Nachtisch gereicht wurde. Seit diesem ersten Urlaub gehört für mich (wie vermutlich für unzählige Touristen) die mediterrane Küche zum Sommer dazu.
Während meiner Au pair Zeit in Italien verbrachten wir die letzten Wochen meines Aufenthalts in Anzio. Zehn Personen in einer kleinen Vier-Zimmerwohnung – meine Mutter war entsetzt über die Enge als sie auf einen Tag zu Besuch kam. Ich aber habe mich dort sehr wohl gefühlt. Es gab dort sicher nichts, was nicht gebraucht wurde. Aber niemand, mich inklusive, schien irgendetwas ernstlich zu vermissen. Ich verbrachte ohnehin einen großen Teil des Tages mit den Kindern am Strand und lernte so die festen Strandgewohnheiten der dort urlaubenden Italiener kennen. Die meisten von ihnen waren Römer, die Jahr für Jahr den gleichen Schirm mit Liegen mieteten und einander seit Jahren kannten. Ausländische Urlauber verirrten sich eher selten an unseren Strand und fielen zuweilen unangenehm auf. So sonnten sich zum allgemeinen Missfallen einmal zwei Schwedinnen oben ohne – und ich war verschnupft, weil man sie für Deutsche hielt. Schon wegen der Kinder gab es für mich eine feste Routine und ich gewöhnte mich schneller als gedacht daran, einen großen Teil des Tages im Badeanzug am Strand zu verbringen. Heimlich beneidete ich die italienischen Strandschönheiten, die eine ganze Palette von schicken Badeanzügen zu haben schienen, quasi für jede Gelegenheit einen. Ich hatte nur einen von meiner Mutter (der war aber ok). Das unaufgeregte Leben am Strand fand ich sehr schön. Der uralte Ohrwurm Sapore di Sale von Gino Paoli fängt diese spezifische Stimmung sehr gut ein. In den sparsamen Worten und der einfachen Melodie ist irgendwie alles drin: die mediterrane Muße, die Hitze, das glitzernde Meer, die sexuelle Spannung und eine gewisse Melancholie. Anders, weil es in die Atmosphäre des amerikanischen Süden gebettet ist, aber doch auch ähnlich, weil es eben dieses spezifische Sommergefühl so eindringlich zum Ausdruck bringt, ist, ist das wunderbare Summertime.
Ich wünsche uns einen schönen Sommer.
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