In diesem Jahr werden die Tafeln in Deutschland 25 Jahre alt. Nicht nur die Organisation wächst und wächst, sondern auch die Kritik an ihnen.
Nachdem die Essener Tafel beschlossen hat, ab Anfang dieses Jahres nur noch Tafelnutzer mit deutschem Pass zuzulassen, gab es diesmal auch Kritik von ungewohnter Seite, wie von der Tafelgründerin Sabine Werth und Angela Merkel.
Der Vorsitzende der Tafel, Jochen Brühl, fand darauf deutliche Worte: „Deutschland hat ein enormes Armutsproblem.[...] Der eigentliche Skandal ist, dass es uns seit 25 Jahren gibt, dass wir mittlerweile 1,5 Millionen Bedürftige unterstützen, dass es 250 000 Tonnen Lebensmittelüberschüsse gibt, dass es in diesem reichen Land Menschen gibt, denen es am nötigsten mangelt.“ Brühl war nicht bereit, die Kritik der Kanzlerin gelten zu lassen. „Wir lassen uns nicht von der Kanzlerin rügen, denn die aktuelle Entwicklung ist eine Konsequenz ihrer Politik.“
Die Entscheidung der Tafel in Essen rief ein großes Medienecho hervor, weil hier ein Unterschied zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen gemacht wurde. Tatsächlich sehen sich aber auch Tafeln anderswo gezwungen, (z.B. wegen zu hohem Bedarfs) ihre Klientel zu selektieren. Die Tafel in Marl traf offensichtlich eine weniger medienwirksame Entscheidung als sie sich entschied, an alleinstehende Männer – egal ob deutsch oder nicht – keinen Benutzerschein mehr auszugeben.
Die Entscheidungen der Tafeln in Essen und Marl machen deutlich, dass die Tafeln wie Brühl sagt, an ihren Belastungsgrenzen sind. Sie können weder den wachsenden Bedarf immer decken noch lokale Probleme immer optimal lösen. Die Entscheidungen zeigen auch, dass Wohltätigkeit der Willkür unterworfen ist. Dass die Essener Tafel trotz der vielen Kritik an der Entscheidung bisher fest gehalten hat und auch festhalten konnte, liegt daran, dass bei einer Wohltätigkeitsorganisation wie der Tafel das Allgemeine Gleichstellungsgesetz nicht gilt. Wer freiwillig gibt, darf auch entscheiden, wem und wem nicht.
Zu den bestehenden Tafeln kommen nicht nur jährlich neue hinzu. Auch der Bedarf bei den existierenden Tafeln wächst. Die Münchner Tafel wurde 1994 gegründet. Damals gab es sieben Mitarbeiter und 400 Kunden. Zehn Jahre später arbeiteten 450 ehrenamtliche Helfer an 25 Ausgabestellen. Außerdem wurden 85 soziale Einrichtungen mit Lebensmitteln beliefert. Es kamen 18 000 Menschen pro Woche. Inzwischen gibt es fast 700 ehrenamtliche Mitarbeiter und 27 Ausgabestellen. 107 soziale Einrichtungen erhalten Lebensmittel. Die Zahl der Tafelbenutzer ist auf 22 000 gestiegen. Es gibt auch eine Warteliste.
Was Armut in München bedeuten kann, beschreibt der Ex-Profi Fußballer Paul Breitner in einem Interview (Breitner arbeitet seit 5 Jahren ehrenamtlich an einer Ausgabestelle in München.): „Ich war vorn beim Gemüse und [...] möchte einer Rentnerin, vielleicht 75 Jahre, diesen schönen Salatkopf geben. [...] „Nein, Herr Breitner, das ist nett, aber bittschön geben‘s ihn doch meiner Nachbarin. Das macht keinen Sinn. -- Es war der 20.oder 21. des Monats. -- Ich sage, Frau Sowieso, warum macht das keinen Sinn? Sagt sie, bei mir ist Anfang des Monats das und das kaputt gegangen, was ich unbedingt erneuern musste. Ich habe noch 1,70 Euro zuhause. Ich habe kein Salz, kein Öl und kein Essig mehr. Geben Sie den Salat jemand anderen.“
Der in München beheimatete Journalist Heribert Prantl schrieb vor kurzem: „Die Tafeln gehören zu den erfolgreichsten Einrichtungen in Deutschland. Sie expandieren deshalb, weil Not und Bedürftigkeit in Deutschland expandieren. [...] Sie sind eine Schande für den Sozialstaat, der das nicht leistet, was er leisten soll: Grundsicherung für die Menschen, die einer Grundsicherung bedürfen.“
In anderen Ländern ist die Situation noch schlimmer. In Frankreich (67 Millionen Einwohner) bekommen schon 3,5 Millionen Menschen durch food banks Lebensmittel, in Italien (61 Millionen E.) sind es 1,6 Millionen. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und Italien werden die rechtsextremen Parteien immer lauter, immer stärker.
Nachtrag: Die Essener Tafel hat die umstrittene Regelung aufgehoben unnd versorgt seit Anfang April auch wieder Nicht-Deutsche.