Das Vorsprechen
„Arschloch!“ brülle ich so laut, dass sich sämtlich Leute zu uns umdrehen.
Die Tasche triff ihn voller Wucht am Kopf und er schreit auf. Befriedigt lehne ich mich im Autositz zurück. Während wir schnell weiterfahren, verflüchtigt sich mein gutes Gefühl und ich frage mich, warum ich mich von diesem Idioten derart aus der Fassung habe bringen lassen. Auch tut es mir leid um die Handtasche, die mal fast 100 Dollar gekostet hat. Die hatte ich extra mitgenommen, um eleganter und seriöser auszusehen.
Der Taxifahrer sieht nun noch misstrauischer aus als vorher, und es ist sonnenklar, dass er mich so schnell wie möglich loswerden möchte. Aber bis wir es am Theater sind, dauert es sicher noch mindestens eine halbe Stunde. Der Verkehr ist mörderisch.
Ich frage ihn, ob er eine Zigarette für mich hat.
Er weist stumm auf das „Thank you for not smoking“ Schild auf der Anzeige hin.
Ich frage nach einem Bonbon oder Kaugummi. Irgend etwas, dass mich ein wenig ablenkt. „Ich fahre ins Theater, um dort vorzusprechen, wissen Sie? Bis dahin muss ich ein wenig runterkommen, damit ich mich, wenn ich dran komme, einigermaßen konzentrieren kann.'
Der Taxifahrer sieht mich aufmerksam von der Seite an, mustert das hellblaue Kostüm, die sündhaft teuren Pumps. Als wir vor einer roten Ampel halten müssen, beugt er sich zu mir herüber.
Ich gefriere einen Moment auf meinem Sitz.
Aber er beugt sich nur vor und öffnet das Handschuhfach. Wortlos kramt er kurz darin herum, zieht dann einen Flachmann heraus und hält ihn mir hin.
„Ist schottischer Whisky drin. Hab' ich für alle Fälle immer dabei.“ Er grinst und linst unverschämt auf meine Beine. „Nehmen Sie 'nen Schluck. Der hilft immer.“
Ich bin zu nervös, um seinen Rat in Frage zu stellen und nehme ihm den Flachmann ab. Schnell öffne ich den Schraubverschluß und nehme zwei Mal einen kräftigen Schluck. Es brennt ordentlich im Hals, aber ich schaffe es, nicht zu husten. „Sie auch einen?“ frage ich und wedele mit dem Flachmann in seine Richtung.
Er lacht und schüttelt den Kopf. „Besser nicht. Wir wollen doch heil am Broadway ankommen.“
Eine wohltuende Wärme breitet sich langsam in mir aus und ich überlege, ob ich mir noch einen Schluck genehmigen soll. Ich sehe auf meine Uhr. Mein Termin ist in einer knappen Stunde. Ich will ja nicht mit einer Riesenfahne aufkreuzen und gleich von der Bühne stolpern. Bedauernd schraube ich den Verschluß wieder zu und verstaue den Flachmann im Handschuhfach.
Ich sehe prüfend an mir herunter. Die Strümpfe sehen noch ok aus. Es gibt auch keine Laufmaschen an den Hacken, wo ich schon so manche Strümpfe in kürzester Zeit ruiniert habe. Wann immer wir halten müssen, mustert mich der Taxifahrer ungeniert, und ich verfluche still die vielen roten Ampeln dieser Stadt. Ich merke wie ich wieder nervöser werde und würde zu gern mein Aussehen überprüfen. Kurzentschlossen lasse ich die Scheibe herunter und versuche mich im Außenspiegel anzuschauen.
Der Taxifahrer räuspert sich. „Im Sonnenschutz ist doch hinten ein kleiner Spiegel.“
„Ach ja,“ sage ich und klappe sogleich den Sonnenschutz runter. Im Tageslicht ist mein Make-up schon sehr kräftig, aber ich finde, ich sehe gut aus. Ich fahre mir leicht übers Kinn. Zum Glück bin ich blond und brauche keinen dunklen Bartschatten zu fürchten.
„Sie sehen gut aus.“
„Danke,“ antworte ich kühl.
„Für'ne Transe, meine ich,“ erwidert der Taxifahrer, nun seinerseits recht frostig.
„Danke,“ sage ich wieder.
„Wofür sprechen Sie vor?“
Ich will gerade sagen, dass ihn das nichts angeht als mir der Whisky einfällt, und ich antworte wahrheitsgemäß.
Er ist sichtlich beeindruckt. „Sie kommen aus England?“
„Ja.“
„Und treten sonst dort auf?“
„Genau. Und jetzt will ich es auch hier probieren.“
„Das ist schon ein sehr berühmtes Theater, wo Sie da hinwollen.“
„Nur das Beste ist gut genug für mich,“ antworte ich frech.
Er lacht, und zeigt dann auf meine Schuhe. „Und damit können Sie wirklich laufen! Also meine Schwester kann's nicht.“
Ich will schon loslegen mit einem langen Vortrag über gute Schuhe, besinne mich aber noch rechtzeitig. „Reine Übungssache,“ antworte ich stattdessen.
Wir halten an einer Kreuzung.
„Da drüben ist das Theater. Sie können auch hier schon aussteigen. Dann sind Sie schneller da als wenn ich nochmal drehen muss, damit ich direkt davor halten kann.“
Ich nicke erleichtert und will schon mein Portmonnaie zücken als mir die Geschichte mit der Handtasche wieder einfällt. Wie soll ich ihn jetzt bezahlen?
„Ach du Scheiße!“
Der Taxifahrer lächelt amüsiert. „Ich weiß schon!“ Er grinst mich von der Seite an. „Erst wollte ich Sie gar nicht weiterfahren. Aber der Mann war so offensichtlich..,“ er sucht nach dem geeigneten Wort.
„..ein Arschloch!“ sage ich grimmig.
„Na ja, jedenfalls konnte ich Sie verstehen.“
„Danke! Ohne Ihre Hilfe wäre ich nicht rechtzeitig hier gewesen.“
Er zieht eine Visitenkarte aus der Seitentasche seiner Tür und gibt sie mir.
„Karim …,“ lese ich laut.
Er nickt und sagt ganz ernsthaft, „Wenn Sie's schaffen, schenken Sie mir eine Freikarte!“
„Mach ich,“ erwidere ich überrascht. Die Ampel wechselt und ich steige schnell aus, knalle die Tür zu und winke ihm nochmal zu bevor er davon fährt.
Im Theaterfoyer stehe ich etwas linkisch mit der Karte in der Hand. Ich weiß nicht so recht, wohin damit, da die Taschen meines Kostüms zugenäht sind. Bevor ich dran bin, gehe ich nochmal auf die Toilette, stecke mir die Karte hinten in die Strumpfhose und hoffe, dass sie mir Glück bringt.
Sechs Monate später sitzen der Taxifahrer und seine Schwester an einem Mittwoch in der Abendvorstellung in der ersten Reihe.
© Sylvia Bolton, 2009
Die Tasche triff ihn voller Wucht am Kopf und er schreit auf. Befriedigt lehne ich mich im Autositz zurück. Während wir schnell weiterfahren, verflüchtigt sich mein gutes Gefühl und ich frage mich, warum ich mich von diesem Idioten derart aus der Fassung habe bringen lassen. Auch tut es mir leid um die Handtasche, die mal fast 100 Dollar gekostet hat. Die hatte ich extra mitgenommen, um eleganter und seriöser auszusehen.
Der Taxifahrer sieht nun noch misstrauischer aus als vorher, und es ist sonnenklar, dass er mich so schnell wie möglich loswerden möchte. Aber bis wir es am Theater sind, dauert es sicher noch mindestens eine halbe Stunde. Der Verkehr ist mörderisch.
Ich frage ihn, ob er eine Zigarette für mich hat.
Er weist stumm auf das „Thank you for not smoking“ Schild auf der Anzeige hin.
Ich frage nach einem Bonbon oder Kaugummi. Irgend etwas, dass mich ein wenig ablenkt. „Ich fahre ins Theater, um dort vorzusprechen, wissen Sie? Bis dahin muss ich ein wenig runterkommen, damit ich mich, wenn ich dran komme, einigermaßen konzentrieren kann.'
Der Taxifahrer sieht mich aufmerksam von der Seite an, mustert das hellblaue Kostüm, die sündhaft teuren Pumps. Als wir vor einer roten Ampel halten müssen, beugt er sich zu mir herüber.
Ich gefriere einen Moment auf meinem Sitz.
Aber er beugt sich nur vor und öffnet das Handschuhfach. Wortlos kramt er kurz darin herum, zieht dann einen Flachmann heraus und hält ihn mir hin.
„Ist schottischer Whisky drin. Hab' ich für alle Fälle immer dabei.“ Er grinst und linst unverschämt auf meine Beine. „Nehmen Sie 'nen Schluck. Der hilft immer.“
Ich bin zu nervös, um seinen Rat in Frage zu stellen und nehme ihm den Flachmann ab. Schnell öffne ich den Schraubverschluß und nehme zwei Mal einen kräftigen Schluck. Es brennt ordentlich im Hals, aber ich schaffe es, nicht zu husten. „Sie auch einen?“ frage ich und wedele mit dem Flachmann in seine Richtung.
Er lacht und schüttelt den Kopf. „Besser nicht. Wir wollen doch heil am Broadway ankommen.“
Eine wohltuende Wärme breitet sich langsam in mir aus und ich überlege, ob ich mir noch einen Schluck genehmigen soll. Ich sehe auf meine Uhr. Mein Termin ist in einer knappen Stunde. Ich will ja nicht mit einer Riesenfahne aufkreuzen und gleich von der Bühne stolpern. Bedauernd schraube ich den Verschluß wieder zu und verstaue den Flachmann im Handschuhfach.
Ich sehe prüfend an mir herunter. Die Strümpfe sehen noch ok aus. Es gibt auch keine Laufmaschen an den Hacken, wo ich schon so manche Strümpfe in kürzester Zeit ruiniert habe. Wann immer wir halten müssen, mustert mich der Taxifahrer ungeniert, und ich verfluche still die vielen roten Ampeln dieser Stadt. Ich merke wie ich wieder nervöser werde und würde zu gern mein Aussehen überprüfen. Kurzentschlossen lasse ich die Scheibe herunter und versuche mich im Außenspiegel anzuschauen.
Der Taxifahrer räuspert sich. „Im Sonnenschutz ist doch hinten ein kleiner Spiegel.“
„Ach ja,“ sage ich und klappe sogleich den Sonnenschutz runter. Im Tageslicht ist mein Make-up schon sehr kräftig, aber ich finde, ich sehe gut aus. Ich fahre mir leicht übers Kinn. Zum Glück bin ich blond und brauche keinen dunklen Bartschatten zu fürchten.
„Sie sehen gut aus.“
„Danke,“ antworte ich kühl.
„Für'ne Transe, meine ich,“ erwidert der Taxifahrer, nun seinerseits recht frostig.
„Danke,“ sage ich wieder.
„Wofür sprechen Sie vor?“
Ich will gerade sagen, dass ihn das nichts angeht als mir der Whisky einfällt, und ich antworte wahrheitsgemäß.
Er ist sichtlich beeindruckt. „Sie kommen aus England?“
„Ja.“
„Und treten sonst dort auf?“
„Genau. Und jetzt will ich es auch hier probieren.“
„Das ist schon ein sehr berühmtes Theater, wo Sie da hinwollen.“
„Nur das Beste ist gut genug für mich,“ antworte ich frech.
Er lacht, und zeigt dann auf meine Schuhe. „Und damit können Sie wirklich laufen! Also meine Schwester kann's nicht.“
Ich will schon loslegen mit einem langen Vortrag über gute Schuhe, besinne mich aber noch rechtzeitig. „Reine Übungssache,“ antworte ich stattdessen.
Wir halten an einer Kreuzung.
„Da drüben ist das Theater. Sie können auch hier schon aussteigen. Dann sind Sie schneller da als wenn ich nochmal drehen muss, damit ich direkt davor halten kann.“
Ich nicke erleichtert und will schon mein Portmonnaie zücken als mir die Geschichte mit der Handtasche wieder einfällt. Wie soll ich ihn jetzt bezahlen?
„Ach du Scheiße!“
Der Taxifahrer lächelt amüsiert. „Ich weiß schon!“ Er grinst mich von der Seite an. „Erst wollte ich Sie gar nicht weiterfahren. Aber der Mann war so offensichtlich..,“ er sucht nach dem geeigneten Wort.
„..ein Arschloch!“ sage ich grimmig.
„Na ja, jedenfalls konnte ich Sie verstehen.“
„Danke! Ohne Ihre Hilfe wäre ich nicht rechtzeitig hier gewesen.“
Er zieht eine Visitenkarte aus der Seitentasche seiner Tür und gibt sie mir.
„Karim …,“ lese ich laut.
Er nickt und sagt ganz ernsthaft, „Wenn Sie's schaffen, schenken Sie mir eine Freikarte!“
„Mach ich,“ erwidere ich überrascht. Die Ampel wechselt und ich steige schnell aus, knalle die Tür zu und winke ihm nochmal zu bevor er davon fährt.
Im Theaterfoyer stehe ich etwas linkisch mit der Karte in der Hand. Ich weiß nicht so recht, wohin damit, da die Taschen meines Kostüms zugenäht sind. Bevor ich dran bin, gehe ich nochmal auf die Toilette, stecke mir die Karte hinten in die Strumpfhose und hoffe, dass sie mir Glück bringt.
Sechs Monate später sitzen der Taxifahrer und seine Schwester an einem Mittwoch in der Abendvorstellung in der ersten Reihe.
© Sylvia Bolton, 2009